Veränderungen verändern selten alles.
Wenn neue Strukturen entstehen bleiben dennoch alte Netzwerke erhalten. Positionen und Rollen werden neu benannt oder verändert zugeschnitten oder besetzt, aber Vertrauen, Loyalität und verdeckte Interessen „des alten Systems“ bleiben erst einmal bestehen. Das ist kein Zufall, es ist eher Organisationsphysik. Energie verschwindet nicht, sie wandelt sich. In diesem Fall wandelt sich formelle Macht in informellen Einfluss.
Und genau hier beginnen Machtspiele und interne Politik: dort, wo Menschen versuchen, ihren Einfluss zu sichern, obwohl ihre neue formelle Position oder Rolle eine andere ist. Macht verschiebt sich nicht automatisch. Sie sucht sich neue Wege: über informelle Netzwerke, Loyalitäten oder die, die „schon immer“ wussten, wie der Laden läuft. Wer das ignoriert, erlebt nach dem Aufbruch oft das gleiche Muster in neuer Verpackung.
Dafür die Antennen und einen guten Blick zu haben ist zentral. Sonst wundern wir uns später, warum sich nichts oder zu wenig ändert, obwohl alles doch so sorgfältig neu geordnet wurde...
Macht ist nicht nur eine Position, sie ist eine Beziehung. Sie existiert nur, solange andere bereit sind, sie anzuerkennen. Bzw. erst dann, wenn sie neu anerkannt wird!
Das erklärt, warum Macht in Organisationen nie statisch ist: sie wandert, folgt Vertrauen, Erfahrung, Deutungshoheit.
Wer Veränderung will, muss diese Beziehungsdynamik verstehen, denn sonst verändert sich nur die Form, nicht das System Solange Menschen ihre Sicherheit daraus ziehen, wer ihnen zuhört, wessen Zustimmung sie brauchen oder wessen Urteil sie fürchten, bleibt das „alte“ Geflecht stabil. Selbst gut gemeinte Veränderungen können daran scheitern, dass sie Machtverhältnisse antasten, ohne sie anzuerkennen.
In einem Werk wurde die klassische Linienorganisation aufgelöst. Offiziell führten jetzt ProjektleiterInnen, nicht mehr AbteilungsleiterInnen.
In der Praxis riefen die Mitarbeitenden bei Entscheidungen aber immer noch „ihren alten Chef“ an. Er hat keine formelle Macht mehr, aber Einfluss: über Loyalität, Fachkompetenz, über das Gefühl von Vertrautheit, über Dankbarkeit, über Angst, sie/ihn zu enttäuschen.
Solche Bindungen sind die stillen Leitungen der Organisation: Beziehung schafft Einfluss, und Einfluss überdauert jede Umstrukturierung. Egal, wie das neue Organigramm aussieht.
Solche „Machtspiele“ , oder besser „Machtartefakte“ (= Altstrukturen der Macht“) sind selten böse Absicht. Sie entstehen als Nebenprodukt, wenn die Organisation zwar neue Strukturen schafft, aber keine neuen Mechanismen, um Einfluss transparent zu machen.
Wenn aus alter Macht neue Gestaltungskraft wird Macht verschwindet nicht, nur weil es ab sofort anderes laufen soll oder muss: Sie bleibt zumindest in der Form von Einfluss, aber sie kann sich wandeln. Es hilft, wenn Organisationen lernen, über Einfluss und Verantwortung offen zu sprechen. Dann entsteht aus alter Macht neue Gestaltungskraft.
Wer Macht versteht, versteht wieder einen wichtigen Aspekt von Veränderung und gewinnt Gestaltungsspielraum für gelingende Prozesse. Im letzten Teil dieser Serie geht es jetzt noch um eine Facette, die (leider) auch Teil vieler Change Prozesse ist: Die dunkle Seite der Macht.
Quellen: