Wir reden wieder über Werte. Intensiver, lauter, manchmal ratloser als je zuvor.
Lange galten Unternehmenswerte als in Stein gemeißelte Leitsätze, irgendwo zwischen Motivationsposter und Marketing-Slogan. Nett zu haben, aber selten der Kern des Geschäfts. Das ist vorbei. Die Erosion geopolitischer und gesellschaftlicher Gewissheiten, beschleunigt durch Digitalisierung, Globalisierungskrisen und einen spürbaren Generationenwechsel, zwingt Unternehmen ihrerseits, Farbe zu bekennen.
Denn: der Diskurs hat sich verschoben. Es geht nicht mehr nur darum, ob ein Unternehmen Werte hat: Schon das ESG-Regelwerk der EU, zusammen mit dem Green Deal verpflichtet Unternehmen mehr und mehr darauf, sich um Umwelt, soziale Bedingungen und ethische Unternehmensführung intensiv Gedanken zu machen.
Zusätzlich geht es auch darum, wie authentisch diese Werte gelebt werden und wie sich Unternehmen zur äußeren Welt verhalten. Purpose, Haltung, gesellschaftliche Verantwortung – diese Begriffe sind aus den Sonntagsreden in die Vorstandsetagen und Mitarbeitergespräche gewandert. Gleichzeitig fordern andere Stakeholder, von kritischen Kunden bis zu sinnsuchenden Talenten (Generation Z lässt grüßen), mehr als nur Profite. Sie wollen wissen: Wofür steht unser Unternehmen wirklich?
Im Zentrum dieser Debatte steht aktuell oft die Abkürzung DEI – Diversity, Equity, Inclusion. Einst ein Nischenthema für HR-Abteilungen, ist es heute ein Brennglas für die Werte-Frage. Hier prallen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander, hier wird der Spagat zwischen unternehmerischem Anspruch und gesellschaftlicher Realität sichtbar. Die Erwartungshaltung ist klar: Unternehmen sollen nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch Position beziehen.
Ein brisantes Beispiel: DEI und Nachhaltigkeit. Unternehmen, die sich hier engagieren, sehen sich wachsendem Gegenwind ausgesetzt. Es reicht von interner Skepsis bis zu offenem politischen Druck. Wenn etwa US-Präsident Trump in einem Dekret explizit DEI-Programme als “illegale Diskriminierung und Bevorzugung” einstuft und von amerikanischen, deutschen, französischen (und anderen europäischen) Unternehmen fordert, ihre DEI-Initiativen einzustellen, wird klar: Wertearbeit ist keine rein interne Angelegenheit mehr, sondern Teil zunehmender geopolitischer Spannungen: Die Reaktionen der Franzosen, Spanier und anderer sind deutlich. Sie werten das Dekret als "reaktionäre Lawine". Das spanische Arbeitsministerium etwa erklärte dazu, die US-Vorgabe sei eine „ungeheuerliche Verletzung“ der strengen spanischen Antidiskriminierungsgesetze.
Unternehmen stehen also vor der Wahl: Rückzug aus Angst vor Repressalien oder Standhaftigkeit im Wissen, dass z.B. "Nachhaltigkeit" bei wichtigen Investoren (Fonds) relevant und DEI für viele Talente und Kunden nicht verhandelbar ist. Wer bei Werten aber zurückrudert, verprellt möglicherweise progressive Kunden und Talente, die genau dieses Engagement erwarten. Insgesamt ist die Situation ein Minenfeld.
Zwei ganz aktuelle Beispiele: die Harvard University hat sich als erste (und bislang einzige?) Universität in den USA gegen die verordnete #DEI Politik der Trump Administration gewendet. Innerhalb von 48 Stunden hat die Universität ihre komplette Website inhaltlich und von der Aufmachung neu veröffentlicht: es gibt sehr klare Statements dazu, dass DEI weiterhin eine Grundlage und ein zentraler Kern von Harvard bleiben wird. Da folgt jemand seinen Werten und macht noch einen richtig professionellen Job dabei.
Die Reaktion der gebeutelten Columbia Universität weist genau in die gegensätzliche Richtung: Die "als erpresserischer Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit" gewertete Androhung der radikalen Kürzung von Fördermitteln der Trumpregierung führt dazu, dass sich Columbia diesen "ultimativen Forderungen" gebeugt hat.
Eine klare Haltung zu und das Ringen um die richtigen Werte und die passende Kultur ist damit kein interner Wohlfühlprozess mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit. Es ist die Suche nach einem verlässlichen Kompass in stürmischen Zeiten.
Die schlechte Nachricht: Einfache Antworten gibt es nicht. Die gute Nachricht: Die Diskussion selbst ist ein Zeichen von Vitalität. Unternehmen, die sich ihr stellen, haben die Chance, Relevanz zu beweisen. Wer schweigt, riskiert, überhört zu werden – oder schlimmer noch, als irrelevant zu gelten. Das Navigieren durch diese komplexen Gewässer ist die neue Normalität.
Ausblick: Was Sie in den kommenden Wochen zum Thema Werte erwartet
Das Thema interessiert Sie? In den kommenden Wochen beleuchten wir das Thema weiter und mit verschiedenen Schwerpunkten.
Die aktuelle Werte-Debatte zwingt Unternehmen zur Positionierung, wobei die Angst vor Gegenwind und interner Uneinigkeit oft zum Zaudern führt. Doch eine klare Haltung, insbesondere zu Themen wie DEI und Nachhaltigkeit, wird zunehmend zur strategischen Notwendigkeit und Identitätsfrage.
Die aktive Gestaltung einer Werte-Kultur erfordert sowohl sanfte Impulse ("Nudges") als auch die konsequente Verankerung in Unternehmensstrukturen und Führungssystemen.
Letztendlich entscheidet die bewusste Wahl zwischen Schweigen und Handeln über die zukünftige Relevanz und Glaubwürdigkeit von Unternehmen in einer komplexen Welt. In den kommenden Beiträgen werden wir tiefer in die Dynamiken dieses Spannungsfelds eintauchen und konkrete Hilfestellungen für eine werteorientierte Unternehmensführung anbieten.